Von 1872 bis 1994 galten sexuelle Handlungen zwischen Männern in Deutschland durch den §175 des deutschen Strafgesetzbuches als strafbar. Bis 1969 beinhaltete der Paragraph auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“. Sexueller Kontakt unter Männern hatte demnach den gleichen Stellenwert wie Sex mit Tieren. Dieser Zusammenhang zeigt deutlich, wie abstoßend die Haltung des Staates gegenüber homosexuellen Männern war.
Auch die Tatsache, dass 1969 die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ aus dem Paragraphen gestrichen wurde, rechtfertigt nicht, bis 1994 die sexuelle Handlung unter Männern zu bestrafen.
Seit 1872 wurde der §175 mehrfach abgeändert und das Strafmaß verändert. Die strengste Ausrichtung erfuhr der Paragraph durch die Nationalsozialisten. Beschämend ist, dass die Bundesrepublik Deutschland beinahe 20 Jahre lang an der Fassung der Nationalsozialisten festhielt. Erst 1969 und 1973 wurde er reformiert, bis er erst 1994 endgültig gestrichen wurde. In der Endphase wurde nur noch die homosexuelle Handlung von Männern mit Jungen unter 18 Jahren bestraft, wohingegen heterosexuelle und lesbische Handlungen von Erwachsenen nur mit Personen jünger als 14 Jahren strafbar waren.
Die DDR reformierte den §175 im Jahr 1950 und ab dem Ende der 1950er Jahre wurden homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen gar nicht mehr bestraft. In dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968 wurden geschlechterübergreifend gleichgeschlechtliche sexuellen Handlungen von Erwachsenen mit Minderjährigen geahndet. Dieser Paragraph wurde 1988 wieder gestrichen.
Die Bundesrepublik war in ihrer Haltung gegenüber von Homosexuellen um einiges rückständiger als die DDR. Erst durch die Wirren und Proteste der 60er und 70er Jahre kam es zu ersten liberalen Reformationen des Strafgesetzbuches in Bezug auf Homosexuelle. Bis dahin drohte eine ablehnende Haltung wie sie durch die Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben wurde. Unter diesem Gesichtspunkt zeigt sich deutlich, wie tief noch immer nationalsozialistische Ideologien in der Bundesrepublik verwurzelt waren. Es ist durchaus angemessen, von einer menschenverachtenden Sichtweise auf homosexuelle Männer zu sprechen, wenn die sexuelle Handlung unter Männern in einem Atemzug mit sexuellen Handlungen zwischen Mensch und Tier genannt wird. Dies hat nichts mit einer aufgeklärten und liberalen Gesellschaft zu tun.
Die DDR war der Bundesrepublik in dieser Hinsicht weit voraus. Böswillig kann man durchaus davon sprechen, dass erst die Wiedervereinigung zur Abschaffung des §175 geführt hat. Ansonsten wäre es durchaus möglich, dass heute noch sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern bestraft werden würden. Betrachtet man heute die konservative Haltung mancher Politiker zum Thema Homosexualität, kann man schon fast Angst vor der Rückkehr des §175 bekommen. Gedanklich sind wir da noch immer im finstersten Mittelalter. Seit der Abschaffung des Paragraphen wird das Thema einfach verschwiegen. Wir sind in unserem Land doch alle oberflächlich liberal. Nach außen wird gern das Bild eines welt- und menschenoffenen Landes projiziert. Hinter den Kulissen wird aber von konservativer Seite scharf gegen homosexuelle Mitbürger geschossen. Aufklärung oder Entschädigung für entstandenes Unrecht aufgrund des §175 sucht man vergebens oder muss hart erkämpft werden. Das hat nicht viel mit Respekt gegenüber den Mitmenschen zu tun. Eine angemessene Auseinandersetzung und Aufarbeitung des §175 ist notwendig, um zukünftig derartiges Unrecht zu verhindern. Da wir in unserem Land aber nicht mal in der Lage sind, die dunkelsten Stunden des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, ist es fraglich, ob derartige „Randthemen“ vernünftig bearbeitet werden. So konnte dann auch ein gesetzlicher Maßstab der Nationalsozialisten fast zwei Jahrzehnte mit in die Bundesrepublik getragen werden. Unsere unangenehme Vergangenheit verschweigen wir lieber als angemessen mit ihr umzugehen und vernünftige Lehren für die Zukunft zu erarbeiten.
Interessant ist zum Abschluss noch einmal die Tatsache, dass nur die sexuelle Handlung unter Männern durch den §175 betrachtet wurde. Homosexuelle Handlungen unter Frauen schienen nicht bedrohlich zu sein. Oder war es viel mehr die Angst einer männlich dominierten Republik vor dem eigenen Geschlecht? Lesbische Handlungen unter Frauen waren wohl schon immer ein großer Anreiz für heterosexuelle Männer.